Dienstag, 14. Dezember 2004

Der Islam Eine aggressive Religion?

Der Islam Eine aggressive Religion?

Seien wir fair: Es droht ein Generalverdacht - dieses Mal nicht gegenüber Juden, sondern gegenüber Muslimen: Als ob sie, von ihrer Religion aufgehetzt, allesamt potenziell gewalttätig wären. Und umgekehrt die Christen, weil von ihrer Religion belehrt, allesamt gewaltlos, friedlich, liebevoll wären ...

Seien wir fair: Selbstverständlich lehnen wir Bürger eines demokratischen Rechtsstaates im Namen der Menschenwürde Zwangsverheiratungen, Frauenunterdrückung, Ehrenmorde und andere archaische Unmenschlichkeiten ab. Aber das tun mit uns auch die meisten Muslime. Sie leiden darunter, dass über «die» Muslime oder «den» Islam der Stab
gebrochen wird. Sie erkennen sich in unserem Islam-Bild nicht wieder, denn sie wollen loyale Staatsbürger islamischer Religion sein.

Seien wir fair: Wer «den Islam» für Entführungen, Selbstmordattentate, Autobomben und Enthauptungen einiger verblendeter Extremisten verantwortlich machen will, müsste gleichzeitig für die barbarischen Gefangenenmisshandlungen, Bombardierungen und Panzerangriffe (100 000 ermordete Zivilisten allein im Irak) der US-Armee und den Terror der israelischen Besatzungsarmee in Palästina «das Christentum» oder «das Judentum» verurteilen. Wer den Kampf um Öl und Hegemonie im Nahen Osten und anderswo als «Kampf für die Demokratie» und «Krieg gegen den Terror» ausgibt, belügt die Welt - freilich ohne Erfolg.

Uno-Generalsekretär Kofi Annan betonte in seiner Tübinger Weltethos-Rede 2003: «Keine Religion und kein ethisches System sollten je wegen moralischer Entgleisungen einiger ihrer Anhänger verurteilt werden. Wenn ich als Christ beispielsweise nicht will, dass mein Glaube nach den Handlungen der Kreuzritter oder der Inquisition beurteilt wird, muss ich auch selbst sehr vorsichtig sein, um nicht den Glauben eines anderen nach den Handlungen zu beurteilen, die einige wenige Terroristen im Namen ihres Glaubens begehen.»

Sollen wir also mit gegenseitiger Aufrechnung weiterfahren, die nur tiefer in die Misere führt? Nein, eine andere Grundeinstellung zu Gewalt und Krieg ist gefordert, die im Grunde überall die Völker wünschen, wenn sie nicht - in den arabischen Ländern wie in den USA - von machtbesessenen und verblendeten Staatslenkern irregeführt und von Ideologen und Demagogen in den Medien verdummt werden.


Gewalt wurde im Zeichen des Halbmonds, aber auch im Zeichen des Kreuzes ausgeübt, von mittelalterlichen und zeitgenössischen «Kreuzrittern», die das Versöhnungszeichen des Kreuzes in ein Kriegszeichen verkehrten. Beide Religionen haben in der Geschichte ihre Einflussbereiche aggressiv ausgedehnt und ihre Macht mit Gewalt verteidigt. Sie haben in ihrem Bereich eine Ideologie nicht des Friedens, sondern des Krieges propagiert. Die Problemlage ist also kompliziert.

Wenn wir fair sein wollen, müssen wir also genauer hinschauen, sowohl auf den Islam wie auf das Christentum. Deshalb habe ich die Einladung der BLICK-Redaktion angenommen, eine Reihe von kurzen Artikeln über Fragen zum Islam zu schreiben. Keine leichte Aufgabe. Unbestechlich und fair möchte ich auf knappem Raum Grundinforma-tionen vermitteln und eine elementare Klärung gegenwärtig uns bedrückender Probleme versuchen.

Gelassen nehme ich dabei in Kauf, dass der eine oder andere Kollege der theologischen oder islamologischen Zunft dies als «journalistisch» abqualifizieren mag. Mir geht es bei allen bleibenden Unterschieden zwischen den Religionen um aufrichtige Verständigung. Dass mein im Oktober erschienenes Buch über den Islam in einer als besonders seriös geltenden Zürcher Tageszeitung voreingenommen und verzerrend «rezensiert» wurde,
hat mich in diesem Entschluss bestärkt.

Was ich zu meinem Buch geschrieben habe, gilt auch für diese Artikelserie: Wir befinden uns zweifellos in einer geschichtlich heiklen Phase für die Neugestaltung der Weltpolitik, insbesondere des Verhältnisses Westen-Islam.

Den Beziehungen zwischen den drei abrahamischen Religionen Judentum, Christentum und Islam kommt dabei eine Schlüsselrolle zu. Die Optionen sind deutlich: Entweder Rivalität der Religionen, Zusammenprall der Kulturen, Krieg der Nationen - oder Dialog der Kulturen und Frieden zwischen den Religionen als Voraussetzung für Frieden zwischen den Nationen!

Sollten wir angesichts der tödlichen Bedrohung der Gesamtmenschheit statt neue Dämme des Hasses, der Rache und Feindschaft aufzurichten, nicht lieber die Mauern des Vorurteils Stein um Stein abtragen und damit Brücken des Dialogs bauen, Brücken gerade auch zu Menschen islamischen Glaubens?

* PROF. Hans Küng in Jerusalem, heilige Stadt für Juden, Christen und Muslime. Seit über zwei Jahrzehnten sind die Weltreligionen zentrales Thema von Hans Küng. Mit seinen weltweit einflussreichen Büchern hat er Pionierarbeit für den Dialog der Kulturen geleistet. In seinem neuen grossen Werk bietet der Autor eine profunde Gesamtdarstellung des Islam: Er beschreibt die Paradigmenwechsel im Lauf seiner 1400-jährigen Geschichte, zeichnet die unterschiedlichen Strömungen nach und sichtet die Positionen des Islam zu den drängenden Fragen der Gegenwart. Eine umfassende Analyse der politischen, kulturellen und religiösen Bedeutung der zahlenmässig grössten Weltreligion neben dem Christentum, wie sie unter den Theologen unserer Zeit nur Hans Küng schreiben kann. Dieses Buch zeigt: Ohne einen Dialog mit dem Islam wird es weder einen dauerhaften Weltfrieden noch ein
konfliktfreies Miteinander mit den Muslimen in Europa geben. Wer die heutige Welt verstehen will, muss den Islam verstehen. Ein historisch begründetes, theologisch brisantes und hochpolitisches Buch!

© Blick; 11.12.2004

ISLAM UND ANDERE GLAUBENSRICHTUNGEN IM RELIGIONSUNTERRICHT

ISLAM UND ANDERE GLAUBENSRICHTUNGEN IM RELIGIONSUNTERRICHT

Religiöse Kompetenz als schulische Aufgabe

Analyse

Die einseitige Wahrnehmung von Religion erzeugt Angst. Deshalb muss das Verständnis zwischen Religionen und Kulturen durch religiöse Bildung gefördert werden.

Von Dominik Helbling

Die starke Präsenz des Themas Religion in den Medien ist eine erstaunliche Tatsache, glaubte man Gott doch längst tot. Einige Vertreter der Soziologie, die das Verschwinden der Religion voraussagten, wurden durch die hohe Zahl der Kirchenaustritte bestätigt. Die Einstellung zu Gott oder das Gebetsverhalten waren nunmehr Privatsache und dem öffentlichen Zugriff
entzogen.

Seit einiger Zeit schlägt das Pendel zurück. Zwar ist der Exodus aus den Landeskirchen noch immer immens, der Glaube der Menschen erfährt jedoch vielerorts wieder vermehrte Beachtung. Stars und Sternchen bekennen sich öffentlich zu Jesus, der Papst zieht Zehntausende in seinen Bann, und eine Person aus der Stadt Zürich begründete ihre Wahl John Kerrys bei der Aktion «Zürich wählt the President» mit den Worten: «Lieber Gott, nur nicht Bush!»

Viel stärker wird das Thema Religion allerdings im Zusammenhang mit Gewalt wahrgenommen. Es ist von Kreuzzug und Jihad die Rede. Für den 11. September 2001, die Anschläge am 11. März 2004 in Madrid oder den Mord an Theo van Gogh in den Niederlanden vor wenigen Wochen wird im schlechtesten Fall islamischer, im zweitschlechtesten islamistischer Terror verantwortlich gemacht. Meist geschieht diese Zuschreibung allerdings ohne eine genaue Klärung, wer oder was damit gemeint ist.

Diese Darstellung von Religion führt zu diffusen Ängsten in der Bevölkerung.

Die Menschen reagieren bereits massiv irritiert, wenn eine Migros-Angestellte ihrer muslimischen Identität auch während ihrer Arbeit Ausdruck verleihen möchte.

Auf verschiedenen Umlaufbahnen

Auf diese Weise wird ein Zusammenprall der Kulturen herbeigeredet und insbesondere der Islam mit Gewalt identifiziert. Wem aber würde es einfallen, den Brudermord unter Tamilen (TA vom 22. 11.) als hinduistischen Fanatismus zu bezeichnen? Unsere Wahrnehmung bleibt äusserst einseitig, solange wir die positiven Zugänge geflissentlich ausklammern. Oder wer hat -Hand aufs Herz - Mitte November einer muslimischen Familie ein frohes Zuckerfest gewünscht oder wird jüdischen Kindern zu ihrer Bar Mizwa oder Bat
Mizwa - also zu ihrer religiösen Mündigkeit - gratulieren? Zu welchem Puurezmorge werden Hindus eingeladen? Wer interessiert sich dafür, was in einer Pagode eigentlich geschieht?

Es ist keine gewagte Vermutung, dass es nur wenige sind. Dazu fehlt den meisten in unserem Land schlicht der Kontakt zu Andersgläubigen. Wir kreisen wie Planeten auf verschiedenen Umlaufbahnen, unsere Wege kreuzen sich nur selten. Deshalb ist es uns auch nicht möglich, uns in die kopftuchtragende Kassiererin hineinzuversetzen. Wir sind äusserst hilflos, wenn es darum geht, uns mit anderen Leuten über Religion zu unterhalten. In Interviews, die in Zusammenhang mit einer empirischen Studie an der Universität Luzern
geführt werden, beschreiben junge Erwachsene solche Situationen als grosse Herausforderung. Die Gespräche zeigen, dass es oft nicht an gutem Willen fehlen würde, sondern schlicht an der Kenntnis über religiöse Traditionen.

Interreligiöses Lernen

Not tut hier eine Bildungsoffensive, die ihren Namen auch verdient. Hartmut von Hentig, einer der einflussreichsten Pädagogen im deutschsprachigen
Raum, beschreibt Bildung griffig mit den Worten «die Sachen klären und die Menschen stärken». Es geht nach dieser Definition darum, Menschen den
Erwerb von Wissen und den Umgang damit zu ermöglichen. Das gilt auch für religiöse Bildung. Ihr Ziel ist religiöse Kompetenz. Man kann diesen Begriff
umschreiben als Fähigkeit, die eigene Kultur und Religion und die anderer zu verstehen und sich dazu aktiv und verantwortlich in Beziehung zu setzen.
Diese Handlungskompetenz ist schlicht notwendig, um den aktuellen religiösen Herausforderungen begegnen zu können: sachgerecht, offen und gleichzeitig selbstbewusst. Sie zu fördern, muss Sache der Schule sein, weil sie der genuine Ort der Bildung ist und weil dort Begegnungen zwischen Religionen nicht erst inszeniert werden müssen.

An dieser Stelle wird sicherlich der Einwand erhoben, mit dem Plädoyer für religiöse Bildung in der Schule wolle man ein bestimmtes Weltbild indoktrinieren und gar für die verschiedenen Religionsgemeinschaften rekrutieren. Diese Angst ist in dreifacher Hinsicht unbegründet:

Vom konfessionellen Unterricht kann man sich in der Regel abmelden.

Ethische und religionskundliche Grundbildung, wie sie beispielsweise im Kanton Luzern oder im Kanton Zürich eingeführt wird, soll von einer Klassenlehrperson der staatlichen Schule unterrichtet werden.

Transparente Lehrpläne und die Öffentlichkeit der Schule verhindern mögliche Versuche einer religiösen «unfreundlichen Übernahme».

Wer angesichts dieser hohen demokratischen Legitimation gegen religiöse Bildung ist und so interreligiöses Lernen verhindert, muss sich den Vorwurf
gefallen lassen, den kulturellen und religiösen Frieden in der Schweiz bewusst gefährden zu wollen.

Das fremde Eigene

Die Einführung eines neuen Faches steht in mehreren Kantonen unmittelbar bevor. Dennoch verliert der konfessionelle Unterricht nicht an Bedeutung. Im
Gegenteil: Eine wesentliche Ursache von Ängsten bildet neben dem unbekannten Fremden auch das unbekannte Eigene. Die Konfrontation mit anderen religiösen Traditionen und Einstellungen verunsichert angesichts der eigenen Standpunktlosigkeit doppelt. Konfessioneller Unterricht partizipiert an religiöser Bildung, indem er den eigenen religiösen Hintergrund zu klären versucht und auf diese Weise religiöse Kompetenz fördert.

Das gilt übrigens nicht nur für den christlichen Religionsunterricht. Wie das Beispiel in Luzern zeigt, wird durch den islamischen Religionsunterricht der Islam aus seinem Hinterhofdasein befreit, die Kinder verstehen ihre
Religion besser. Es kann nur im Interesse der Religionsgemeinschaften sein, religiös gebildete Anhängerinnen und Anhänger zu haben statt religiöser
Analphabeten. Ob ihre Schützlinge dadurch zu bekennenden Gläubigen werden und ihren Glauben als befreiend und hilfreich empfinden, liegt ausserhalb des
pädagogischen Einflussbereiches und bleibt deshalb unverfügbar.


Wir sind hilflos, wenn es darum geht, uns über Religion zu unterhalten.

© Tages-Anzeiger; 14.12.2004

User Status

Du bist nicht angemeldet.

Suche

 

Aktuelle Beiträge

"Seien wir fair: Selbstverständlich...
"Seien wir fair: Selbstverständlich lehnen wir Bürger...
gast - 12. Jul, 15:33
Der Islam Eine aggressive...
Der Islam Eine aggressive Religion? Seien wir fair:...
Tamer - 14. Dez, 15:57
ISLAM UND ANDERE GLAUBENSRICHTUNGEN...
ISLAM UND ANDERE GLAUBENSRICHTUNGEN IM RELIGIONSUNTERRICHT Relig iöse...
Tamer - 14. Dez, 15:44

Status

Online seit 7081 Tagen
Zuletzt aktualisiert: 10. Jul, 11:12

Credits


Islam den schulbucher
Profil
Abmelden
Weblog abonnieren